Das Glück und der Zeiten Lauf

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Es geschah am selben Tage. Ich besuchte im Aargauer Kantonsspital einen alten Freund, der sich meines Erachtens allzu früh mit den Beschwernissen des Alterns konfrontiert sieht. Zur Lockerung des Gesprächs wurden frische Kräbeli aus seiner Mutters Guetslitrucke gereicht. Dazu gab es Kaffee aus der Spitalkantine. Plötzlich schien mir das Weihnachtsgebäck härter als bissfest, bis ich merkte, dass ich auf einen halben Zahn biss, der sich mir unbemerkterweise von meinen übrigen Zähnen gelöst hatte. Der Mutter des Freundes war dies sehr peinlich, denn sie meinte, ihre Backware sei Ursache des Vorfalls. Dabei löste sich der Halbzahn, weil für ihn die Zeit gekommen war. Auch Kartoffelstock und Hackbraten hätten diesen Verlust nicht verhindern können.

Da liegt nun einer auf der Krankenstation, unterhält sich mit mir flüssig und ohne Gedächtnislücken über seine sich ankündigende Alzheimer-Demenz, während sich bei mir das Altern unvermittelt mit dem Verlust von Teilen meines Gebisses bemerkbar macht. Wir sind in der einen oder anderen Weise alle im gleichen Spital krank, schoss es mir durch den Kopf, und wir müssen unser Schicksal tragen, wie es sich uns zeigt.

Auf dem Heimweg dann sass ich im Zug einem älteren Manne gegenüber, dem ich seine Einsamkeit ansehen konnte. Er blickte schüchtern zu mir herüber, wagte aber nicht, das Wort an mich zu richten. So sassen wir stumm einander gegenüber, bis ich zweier Münzen gewahr wurde, die vor uns auf der Ablage lagen. Liess sie jemand dort liegen? Oder hat etwa mein Gegenüber sie dort hingelegt, um damit ein Gespräch zu provozieren? – Er schien jedoch über die Entdeckung genauso überrascht zu sein wie ich, womit wir doch noch ins Gespräch miteinander kamen. Ich erlaubte mir, die Münzen zu untersuchen. Die eine war eine Ten Pence aus dem Vereinigten Königreich, die andere eine 50 Pesos aus Kolumbien. Ich sagte dem Senior, dass es sich wohl nicht lohne, deswegen das Fundbüro aufzusuchen und auf Finderlohn zu warten. Er pflichtete mir bei. Ich schlug ihm deshalb komplizenhaft vor, uns diese zwei Münzen anzueignen und sie als Glücksbegleiterinnen fürs neue Jahr zu begreifen. Ich lud ihn ein, sich diejenige Münze auszusuchen, die ihm für diesen Zweck geeigneter schien. Er wählte ohne zu zögern die Queen, was mich vor Freude fast zum Platzen brachte. Insgeheim setzte ich nämlich auf die Pesos meines Sehnsuchtslandes, die mich von nun an in meiner Hosentasche durchs neue Jahr begleiten würden. Sie kamen mir vor wie eine Verheissung, auch im kommenden Jahr ein paar Wochen dort verbringen zu können und an einem Strassenrand von Medellin oder Bogota von den Huevos Pericos und Empanados zu kosten, das Risiko eines weiteren Zahnverlustes durchaus in Kauf nehmend…

In diesem Sinne: Allen ein erfreuliches gutes neues Jahr.

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